Bildquelle: Pixabay Image | Urheber: 177789

Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Klassenkampf von oben in den USA

Die 700 reichsten US-Bürger haben 8,5 Billionen Dollar Kapitalgewinne angehäuft. Diese sollen nun besteuert werden.

15. Januar 2024

von Werner Vontobel

Nach aktuellen Schätzungen zahlen die Milliardäre in den USA bloss 4,8 Prozent Einkommenssteuern. Eigentlich müsste dieser Satz sehr nahe beim maximalen Steuersatz von 37 Prozent liegen. Dass dies nicht so ist, hat zwei Gründe. Zum einen haben die Milliardäre genug Geld, um sich Senatoren und Abgeordnete zu kaufen. Vor allem die Republikaner haben in den letzten Jahren viele Steuerschlupflöcher für die Superreichen geschaffen. Nicht zuletzt deshalb ist dadurch die Summe der nicht versteuerten Kapitalgewinne der rund 700 US-Milliardäre von 3200 auf 8500 Milliarden Dollar gestiegen.

Damit sind wir beim zweiten Grund: In dieser Vermögenskategorie fallen die meisten Einkommen nicht durch Löhne und auch nicht durch Zinsen und Dividenden an, sondern durch Kapitalgewinne. Und die sind auch in fast allen anderen Ländern steuerfrei. Auch in der Schweiz. 2001 wurde eine eidgenössische Volksinitiative abgelehnt, die einen Steuersatz von 20 Prozent auf alle realisierten Kapitalgewinne vorsieht.

In den USA haben demokratische Senatoren und Abgeordnete nun einen neuen Anlauf genommen: Der Gesetzesentwurf von Senator Ron Wyden sieht einen Steuersatz von 25 Prozent auf allen (also auch auf den nicht realisierten) Wertsteigerungen auf Wertschriften sowie auf den realisierten Immobiliengewinnen vor. Damit geht er wesentlich weiter als damals die eidgenössische Volksinitiative. Allerdings soll diese Steuer (auch wegen des administrativen Aufwands) auf Pflichtige ab 100 Millionen Vermögen beschränkt werden.

Doch halt, darf der Staat Steuern nur für Reiche erheben? Wird da nicht der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt? Und dürfen Gewinne überhaupt besteuert werden, bevor sie realisiert worden sind und Geld geflossen ist? Mit solchen Fragen hat die Chamber of Commerce – eine Organisation der Reichen – den U.S. Supreme Court beschäftigt. Sie hofft, dass dieser ein Verbot von allen Steuern auf nicht realisierten Gewinnen verfügt.

Doch die Reichen verteidigen ihre Pfründe nicht nur vor Gerichten, sondern auch an «ihren» Universitäten. So hat neulich diese Studie der neoliberalen University of Chicago für Schlagzeilen gesorgt. Danach  ist – wie es die NZZ formuliert  – «in den USA die Schere zwischen Arm und Reich über die Jahre kaum aufgegangen». Statt von 9 auf 19 Prozent, wie der Ökonom Thomas Piketty errechnet hatte, sei der Anteil des reichsten Prozent seit 1962 bloss «geringfügig» von 11 auf 14 Prozent gestiegen.

Inzwischen hat Piketty längst seine Gegenstudie aufgeschaltet. Der Knackpunkt sind ausgerechnet die unversteuerten Kapitalgewinne. Nach den «Chicago-Boys» fallen davon nur etwa 15 Prozent beim reichsten Prozent an. Das unter der Annahme, dass die Kapitalgewinne nicht viel anders verteilt sind als alle anderen Einkommen, wie namentlich die Löhne.  Gemäss Piketty und der «World Inequality Database» ist diese Annahme aber unrealistisch. Sie schätzen den Anteil der reichsten Prozent an den Kapitalgewinnen auf  rund 50 Prozent.

Diese «Entzauberung» (NZZ) von Piketty dürfte damit entzaubert sein. Aber es gib eine andere, überzeugendere Kritik an Piketty. Sie besagt allerdings vielmehr, dass er zu wenig weit geht. Demnach liegt der Hauptgrund für die ungleiche Einkommensverteilung nicht – wie von Piketty angenommen – in den steigenden Renditen, sondern in den explodierenden Grundstückspreisen.  Doch das macht die Ungleichheit nur noch schlimmer. Es bedeutet nämlich, dass das reichste Prozent nicht nur kaum Steuern bezahlt, sondern als wichtigster Grundbesitzer auch noch Bodenrente kassiert.

Und dabei geht es um wesentlich mehr als um die gut 100 Milliarden Dollar, welche die Reichensteuer auf den nicht realisierten Kapitalgewinnen einbrächte.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Werner Vontobel

Werner Vontobel studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Basel. Er war als Korrespondent bei verschiedenen Zeitungen sowie Mitglied der Chefredaktion des Schweizer Wirtschaftsmagazins Cash. Vontobel setzt sich mit wirtschaftspolitischen und -theoretischen Grundsatzfragen auseinander und hat zu diesem Thema mehrere Bücher veröffentlicht.

 

 

© der-demokratieblog.de | Dr. Elmar Widder