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Das Wort zum Sonntag
07. Mai 2017
von Elmar Widder
Idylle oder Scheinidylle?
Es ist Sonntag. Draußen hört man Kirchenglocken läuten und der Mai verbreitet seine milde, frühlingshafte Atmosphäre. Die Wiesen sind saftig grün, die Vögel zwitschern. Bayern halt. Viele Christen machen sich auf in die heilige Messe.
Christliche Werte
Warum aber gehen wir überhaupt in die Kirche? Nun, weil wir an Gott glauben, oder? Und woher kommt unser Glaube? Hm, gute Frage. Na, weil es Bücher wie die Bibel und das neue Testament gibt; und auf diesen Büchern basiert letztendlich unsere theologische Ethik, oder? Mit christlichen Werten bringen wir oft die zehn Gebote (Nr. 5: Du sollst nicht töten.) und Oberbegriffe wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in Verbindung. Soweit so gut.
Waffenproduktion
Dann gibt es da aber noch etwas wie Waffenproduktion und Rüstung. Weltweit wurden im Jahr 2016 insgesamt 1,686 Billionen US-Dollar, also $ 1.686.000.000.000,- für Rüstung ausgegeben. Die Zahlen stammen vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Das ist eine Menge Geld, man stelle sich vor, man würde so viel Geld weltweit in die Bildung von Kindern investieren. Da mir innerhalb der letzten Wochen – seitdem meine Kandidatur bekannt ist – auch immer wieder gesagt wird, ich „solle mich beim Thema Waffenproduktion nicht so haben, denn es schaffe und erhalte ja schließlich auch Arbeitsplätze“, muss ich hier mal die Frage stellen, ob die Menschen, die mir so etwas vorhalten – und viele von ihnen haben obendrein noch Kinder – noch ganz bei Trost sind?
„Christlich für Waffenproduktion“
Ich wiederhole: sonntags Kirche, christliche Werte, dann Stammtisch, drei Bier und dann ist das Produzieren von Waffen und das Töten in anderen Ländern in Ordnung. Weil: Arbeitsplätze. Verstehe! Was wäre aus meiner Sicht die Lösung für euch? Entweder zurück in die Kirche oder weniger Bier – oder einfach mehr Hirn? Ich weiß es leider nicht. Unklar ist auch, ob die Krankenkasse bei Synapsenschwund zahlt… Nochmal zum Mitschreiben: Wenn Menschen in anderen Ländern mit Waffen getötet werden, die wir hier in Deutschland produzieren, dann ist das für uns in Ordnung, weil wir dadurch Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen? Und wenn woanders dadurch Kinder sterben oder Arme und Beine verlieren, dann ist das ja woanders und nicht bei uns… aha. Wir Christen sind aber doch eigentlich für Nächstenliebe und Barmherzigkeit, oder nicht? Oder gilt die Nächstenliebe nur in Deutschland, innerhalb der EU, oder kann man definieren, wer es wert ist Nächstenliebe zu erfahren. Könnte die Nächstenliebe also auch an der Landesgrenze enden?
Nächstenliebe endet an der Landesgrenze?
Warum fliehen eigentlich so viele Menschen und kommen unter anderem auch nach Deutschland? Richtig, weil in ihren Ländern Krieg und/oder Armut herrscht. Das heißt, wenn wir weniger Waffen in Kriegsgebiete lieferten und uns mehr für den Frieden in anderen Ländern einsetzten, dann kämen auch weniger Flüchtlinge nach Deutschland; und wenn weniger Flüchtlinge nach Deutschland kämen, dann würden wir uns wiederum weniger über diese Flüchtlinge aufregen.
Und hört jetzt bitte mit dem Schwachsinn auf – er ist für oder gegen Flüchtlinge. Das einzige, was ich mache, ist hinterfragen. Ich stelle die Frage, warum so viele Menschen zu uns kommen und was man als Politiker tun könnte. Was könnte also unsere Bundesregierung tun? Nun, wie wäre es damit, einfach weniger Genehmigungen zur Produktion von Waffen zu erteilen… Man nennt das im politischen Fachjargon „Fluchtursachen bekämpfen“.
Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes macht’s möglich:
„Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Theoretisch könnte die derzeitige Bundesregierung (CDU/CSU und SPD) also den Waffenverkauf beschränken. Macht sie aber nicht. Im Gegenteil: Wir bilden zukünftig auch noch saudi-arabisches Militärpersonal in Einrichtungen der Bundeswehr aus. (Quelle: n-tv). Ob wir sie dann auch in Nächstenliebe und Barmherzigkeit schulen, ist mir noch nicht so ganz klar geworden…
Ich wünsche allen Christen, deren Nächstenliebe nicht an der Landesgrenze endet, einen schönen Sonntag. Allen anderen schlage ich vor: „Trinkt noch eins mit viel Glyphosat, denn bei euch ist Hopfen und Malz verloren!“
Ein Kommentar zu „Das Wort zum Sonntag“ am Pfingstmontag:
Der Autor weist in seinem Artikel auf die Widersprüche zwischen den christlichen Werten und der politischen Realität, sowie dem politischen Bewusstsein mancher Wähler hin.
In unserer gegenwärtigen, politisch stürmischen Zeit, die eher als verunsichernd wahrgenommen wird, sind verlässliche Prognosen kaum noch möglich. Deshalb sucht der ein oder andere Wähler*in Halt in der christlichen Religion und in Werten, die uns das Christentum lehrt. Schließlich haben diese Werte bereits über 2000 Jahre angedauert.
Nun, vielleicht sind gerade diese unvorhersehbaren Ereignisse ein Zeichen dafür, dass eine neue Epoche eintritt, in der es nicht mehr ausreicht, sich auf das Bewährte zu verlassen, sondern in der es notwendig wird, neue Wege und Konzepte zu suchen.
Die junge Generation spürt, dass duales Denken – welches teilweise auch durch Religion beeinflusst wurde – heutzutage nicht mehr weiterhilft. Deshalb ist es wichtig, die Gegenpole zwischen Krieg und Frieden, Armut und Reichtum, Macht und Ohnmacht, Materialismus und Idealismus oder Gut und Böse analytisch zu überwinden. Was man jetzt braucht, ist eine Art komplementäres Denken, bei dem es eben nicht darum geht, diese Gegensätze noch mehr zu verhärten, sondern sie zu vereinen. Dies gelingt aber wiederum nur, wenn der Mensch nicht nach Schuld, sondern nach Verantwortung und Selbstreflexion sucht.
Er wird sich so seiner Kompetenzen, die teilweise auch gegensätzlich sind, erneut bewusst. Wenn wir Menschen es schaffen, diese Kompetenzen für uns zurückzugewinnen, werden wir die Möglichkeit bekommen, sie nach unserem Willen im System so einzusetzen, dass wir nicht mehr nur ein Teil des Systems sind, sondern es auch selbst mitgestalten. Bei diesem Prozess wird der Mensch die oben erwähnten Dichotomien in sich selbst spüren und gleichzeitig aber auch lernen, dass seine Neigung zur Polarisierung (schwarze oder weiße Lösung) abnimmt.
Dass man einer neuen Ära entgegenblickt, ist bereits aus der häufigen Verwendung des Begriffs „digitales Zeitalter“ ersichtlich. Man muss nicht näher erläutern, welche gesellschaftlichen Änderungen zu erwarten sein werden, wenn man sich die rasante Entwicklung der neuen Technologien vor Augen hält. Die Politik inbegriffen. So ist es undenkbar geworden, einen Wahlkampf ohne Internet zu betreiben. Saubere Energiequellen und die damit verbundene Nachhaltigkeit aufgrund neuer technologischer Errungenschaften sind heutzutage in beinahe jedem Wahlprogramm zu finden.
Digitalisierung ist das neue Zauberwort aller wirtschaftlichen Zweige und bei den Politikern in aller Munde. Aber zu glauben, der Mensch müsse sich nicht verändern, wenn sich die Technik verändert ist ein Trugschluss. Der Geist der Menschen muss ständig neu „kalibriert“ werden, sonst überholt uns die neue Technik so rasch, dass wir es gar nicht mehr mitbekommen.
Und wo liegt nun der Zusammenhang zwischen Glauben und Politik? Solange sich alle Menschen nicht gegenseitig als Schwestern und Brüder betrachten und respektieren, bleiben die bestehenden Strukturen im Bewusstsein erhalten. Diese Strukturen vermitteln in unserem Bewusstsein ein Gefühl von Ungewissheit, weil wir im alten Denksystem verharren. Und in diesem System geht es nur darum, wer Freund und wer Feind ist, wer gut oder wer böse ist und gegen wen Kriege zu führen sind. Ob die Seele mit solch einer Denkweise glücklich werden kann, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Schließlich sind wir Menschen Wesen, die nicht nach dem Prinzip „1 oder 0“ – also digital – existieren. „Wir Menschen ticken analog.“
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