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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Der Putsch auf dem Maidan ist keine Verschwörungsphantasie

Medien sollten alle Seiten hinterfragen – auch den Mythos der «friedlichen Revolution». Der Krieg wird damit nicht gerechtfertigt.

14. März 2024

von Max Jones

upg. Manche halten es für ausgeschlossen, dass US-Geheimdienste im Jahr 2014 am Putsch  gegen den Präsidenten Janukowitsch beteiligt waren. Nachher wurde die Ukraine mit Hilfe der Nato aufgerüstet und die Absicht erklärt, die Ukraine in die Nato aufzunehmen. Doch dass dies für Putin Gründe waren, in die Ukraine einzumarschieren und sich den Donbas und die Krim zu sichern, halten manche für ausgeschlossen. Sie können auf die Lektüre dieses Beitrags verzichten.

Falls dies jedoch die wichtigsten Gründe für den Angriffskrieg sein sollten, wie Putin im Interview mit Tucker Carlson wiederholte, hätte der fürchterliche Krieg vermieden werden können. 

Das heisst allerdings nicht, dass diese Gründe den Einmarsch in irgendeiner Weise entschuldigen können. Nichts kann den russischen Angriff auf die Ukraine rechtfertigen. Das hat Infosperber von Anfang an klar gemacht.

Autor Max Jones schreibt regelmässig für Scheerpost und ist auch Drehbuchautor. Im Folgenden geht er in erster Linie auf den Maidan-Putsch ein. Noch am 24. Februar 2024 verbreitete beispielsweise die Tamedia-Zeitung «Der Bund», es seien Scharfschützen des danach gestürzten Präsidenten Janukowitsch gewesen, die auf dem Maidan-Platz Protestierende erschossen hätten.

Kein Zerpflücken der konkreten Aussagen

Nach dem jüngsten Interview von Tucker Carlson mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hielten die meisten Medien die Öffentlichkeit davon ab, das Interview zu hören oder zu lesen. Putin habe eh «nichts Neues» gesagt und Carlson habe nur «Handlangerdienste» geleistet. Das Interview sei als pseudo-journalistische Propaganda zu ignorieren.

Auf Putins konkrete Aussagen gingen die meisten Journalisten grosser Medien nicht ein. Bereits seit dem Einmarsch Russlands im Februar 2022 stellten sie es als gegeben hin, dass niemand diesen Krieg provoziert habe (NYT, 31.5.2022, Präsident Joe Biden: «Eine unprovozierte Aggression»; NYT, 11.6.2022: «Putin’s unprovoked war», Washington Post, 4.1.2024: «Der unprovozierte Krieg Russlands in der Ukraine begann als ein Fiebertraum von Präsident Wladimir Putin».

Putin wurde und wird als expansionistischer Kriegstreiber charakterisiert, mit dem niemand jemals vernünftig reden konnte und könne. Doch es wäre Aufgabe der Journalisten gewesen, Putins Erzählung zu analysieren und die Fakten aufzuarbeiten, beispielsweise

  • Putins Darstellung zu den Provokationen der USA und der NATO gegen Russland, 
  • seine Ausführungen, wie lange er versucht habe, sich mit dem Westen anzufreunden, 
  • seine Darstellung des fast abgeschlossenen Friedensabkommens zwischen der Ukraine und Russland, das Boris Johnson zu Beginn des Krieges blockierte, 
  • seine Zusicherung, dass Russland keine Pläne habe, seine militärische Präsenz in die baltischen Staaten oder nach Polen auszudehnen,
  • seine Aufrufe zu einer diplomatischen Beilegung des Krieges.

Die Medien hätten Carlsons Interview dazu nutzen können, einige der Erzählungen über die Vorgeschichte des Krieges noch einmal genauer zu analysieren.

Als wichtigstes Vorkriegs-Ereignis sei der Maidan-Putsch im Jahr 2014 herausgegriffen, den die USA unterstützten und bei dem der demokratisch gewählte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch mit Hilfe der CIA gestürzt wurde.

«Die CIA hat ihren Job gemacht, um den Putsch zu vollenden.»

Jen Psaki, bis Mai 2022 Pressesprecherin des Weissen Hauses
Jen Psaki, bis Mai 2022 Pressesprecherin des Weissen Hauses © White House

In einer Reaktion auf Carlsons Interview bezeichnete die ehemalige Pressesprecherin des Weissen Hauses und heutige Journalistin Jen Psaki in ihrer MSNBC-Show Carlson als «bekannten Verschwörungstheoretiker» und bekanntes «Sprachrohr des Kremls». Als Beleg führte sie folgendes Beispiel an: «Tucker hat Putins unbegründetem Vorwurf, die USA hätten 2014 einen Putsch in der Ukraine inszeniert, nicht widersprochen.»

Psaki zitierte tendenziös. Denn Putin behauptete im Interview nicht, die USA hätten den Putsch auf dem Maidan «inszeniert». Vielmehr sagte er, der Putsch sei mit Unterstützung der CIA erfolgt [Red. Wörtlich sagte Putin: «Die CIA hat ihren Job gemacht, um den Putsch zu vollenden.»] 

Doch Psaki hat nicht nur übertrieben. Sie verschwieg ihren Zuhörern auch, dass die USA der Opposition in der Ukraine seit 1991 mehr als 5 Milliarden Dollar zur Verfügung stellten, um ihre «europäischen Bestrebungen» zu verwirklichen. Das bestätigte Victoria Nuland, Bidens Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten. 

Von der US-Regierung unterstützte Nichtregierungsorganisationen (NGO) spielten beim Entstehen der Proteste, die zum Maidan-Putsch führten, eine direkte Rolle. Einen grossen Einfluss darauf, die Proteste in Gang zu bringen, hatte nach Angaben der Financial Times ein Projekt der ukrainischen NGO Centre of United Actions mit dem Titel «New Citizen» 

Finanziert wurde das Center of United Actions nach Angaben der Kyiv Post zu 36 Prozent durch Beiträge von Pierre Omidyars Omidyar Network und zu 54 Prozent von einer NGO namens «Pact Inc.», die vom USAID finanzierte wurde. Die restlichen Mittel wurden von der NGO International Renaissance Foundation von George Soros und der National Endowment for Democracy (NED) bereitgestellt. 

Die NED, die vom US-Kongress finanziert wird, hat eine lange Geschichte der Unterstützung von US-Regime-Change-Operationen. Deren erster Direktor sagte einmal der Washington Post: «Vieles von dem, was wir heute tun, führte die CIA vor 25 Jahren verdeckt durch.»

Im Jahr 2013, dem Jahr vor dem Putsch, hatte die NED in der Ukraine 65 Projekte mit mehr als 20 Millionen Dollar finanziert. Als Schwerpunkte dieser Projekte wurden «Konfliktlösung», «Rechenschaftspflicht und Regierungsführung» und «demokratische Ideen und Werte» angegeben. 

Auffälligerweise löschte – laut Monthly Review – die National Endowment for Democracy NED am 25. Februar 2022, dem Tag nach der russischen Invasion, alle Aufzeichnungen über die Finanzierung von Projekten in der Ukraine seit 2013 aus ihrer ‹Awarded Grants Search›-Datenbank. Eine Suche um 23:10 Uhr desselben Tages ergab «Keine Ergebnisse gefunden› für die Ukraine». Bis heute sind diese Daten nicht mehr zu finden.

Ursprünglich waren die Proteste auf dem Maidan das Ergebnis eines politischen Streits – insbesondere darüber, ob Präsident Janukowitsch ein Assoziierungsabkommen mit der EU akzeptieren sollte oder nicht. Der Gründer von Consortium News, der verstorbene Robert Parry, drückte es so aus: 

«Es ging darum, ob [Janukowitsch] ein EU-Wirtschaftspaket akzeptieren sollte, das grössere Zugeständnisse an den [Internationalen Währungsfonds] beinhaltete, d.h. mehr Sparmassnahmen für die Ukraine, oder ob er ein grosszügigeres Paket mit einem 15-Milliarden-Dollar-Kredit von Russland akzeptieren sollte, das die Ukraine bereits durch vergünstigtes Erdgas unterstützte. Es war eine politische Frage und nicht die Frage, ob die Demokratie Fortschritte mache.»

[Red. Der damalige Premierminister Nikolai Asarow erklärte 2016 in einem Interview, warum Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU vorläufig ablehnte.]

Politiker der USA mit Neonazi auf der Bühne

Psaki erinnerte ihre Zuhörerinnen und Zuhörer des Nachrichtensenders MSNBC auch nicht daran, dass John McCain, Senator Christopher Murphy (D-CT) und Victoria Nuland während der Unruhen in Kiew auf der Bühne zu den Demonstranten sprachen und ihre Unterstützung für deren Forderungen bekundeten. Die Demonstrationen endeten mit dem (zweiten) Sturz von Janukowitsch. 

Während ihrer Reden teilten sich McCain und Murphy die Bühne mit Oleh Tyahnybok, dem Führer der in der Svoboda-Partei vereinigten ukrainischen Neonazis. 

McCain-auf-dem-Euromaidan
Am 14. Dezember 2013 unterhielt sich der US-Senator John McCain in Kiev mit den beiden ukrainischen Politikern Arsenij Jazenjuk (im Bild links) und Oleh Tjahnybok (Bildmitte), dem Führer der rechtsradikal-nationalistischen Partei Swoboda. Zwei Tage später, am 16. Dezember 2013, hielt McCain auf der Tribüne auf dem Maidan in Kiev eine Rede und versicherte den Demonstranten «Die USA sind mit Euch». Zwei Monate später, am 22. Februar 2014, wurde der rechtmässig gewählte Präsident Wiktor Janukowitsch weggeputscht und Jazenjuk wurde neuer Ministerpräsident. © AP

Kurze Zeit später führten ultrarechte Paramilitärs aus, was Ivan Katschanowski, Professor an der Universität von Ottawa und Experte für den Maidan-Putsch, als «Massenmord unter falscher Flagge» an den Maidan-Demonstranten» bezeichnete. Der Westen und die ukrainische Opposition schoben den Massenmord den Polizeikräften von Janukowitsch in die Schuhe und erleichterten damit den Sturz Janukowitschs aus dem Präsidentenamt. 

Aussagen von fünf beteiligten georgischen Ex-Militärs

Psaki ignorierte auch entscheidende forensische Beweise für die von Katschanowski aufgedeckte Operation unter falscher Flagge sowie die Zeugenaussagen von fünf georgischen Ex-Militärs, die aussagten, direkt in das Massaker verwickelt gewesen zu sein. Sie belasteten die Maidan-Politiker. Professor Katschanowski berichtete für Consortium News:

«Zeugenaussagen von fünf georgischen Ex-Militärs gegenüber italienischen, israelischen [Quelle gelöscht], mazedonischen und russischen Medien sowie ihre veröffentlichten Aussagen gegenüber Berkut-Anwälten für den Prozess zum Massaker auf dem Maidan wurden ebenfalls ignoriert. Sie erklärten, einige Maidan-Protestierer und georgische Politiker hätten ihren Gruppen Waffen, Zahlungen und Befehle zum Massaker an Polizisten und Demonstranten gegeben.»

Interviews mit zwei der georgischen Zeugen:

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Die USA bestimmen den Premierminister

Psaki informierte auch nicht darüber, dass Nuland und Geoffrey Pyatt, damals US-Botschafter in Kiew, in einem geleakten Telefongespräch darüber sprachen, wer die ukrainische Regierung nach dem Staatsstreich bilden sollte, und dass sie Vertreter der Vereinten Nationen hinzuzogen, um ihre handverlesene ukrainische Regierung «zusammenzukleistern». In dem Telefonat machte Nuland deutlich, dass sie Arsenij Jazenjuk als nächsten Premierminister der Ukraine haben wollte. Und tatsächlich ging Nulands Wunsch in Erfüllung, und Jazenjuk wurde nach dem Sturz Janukowitschs der nächste Ministerpräsident. 

Psaki hatte guten Grund, Interviewer Carlson persönlich anzugreifen, statt Inhalte des Interviews zu analysieren. Hätte sie sich beispielsweise mit dem Maidan-Putsch befasst, würde die Erzählung, die sie während ihrer Amtszeit im Weissen Haus mitgestaltete und verbreitete, in sich zusammenfallen.  

Die Tendenz vieler Journalisten, entgegengesetzte Darstellungen zu diffamieren und ihre ideologischen Gegner mit möglichst übertriebenen Begriffen in ein schiefes Licht zu stellen (z. B. Psaki: «Tucker ein Sprachrohr des Kremls») macht Medien zu Parteien. Und sie unterteilen das Publikum in Anti-Russen und Pro-Russen, in Rechte und Linke, in Gute und Böse. 

ARD bezweifelt die Aussagen der Georgier

Bereits im April 2014 war ein Team des ARD-Magazins Monitor in Kiew und fand starke Indizien und Zeugenaussagen, dass Scharfschützen aus dem Hotel Ukraina geschossen hatten. Das Hotel Ukraina stand seit Dezember 2013 unter Kontrolle der Maidan-Oppositionellen. Die Staatsanwaltschaft sei den Urhebern der Schiesserei nicht wirklich nachgegangen. 

Im Januar 2021 hielt der ARD-Faktenfinder, der die Nato-Erzählung kaum je hinterfragt, die Aussagen der erwähnten Georgier für unglaubwürdig. Der angebliche Auftraggeber Michail Saakashvili sei zum Zeitpunkt des Putsches gar nicht mehr Präsident von Georgien gewesen [Red. Er war bis November 2013 Präsident]. Es gebe auch kein Bildmaterial, das belege, dass die Georgier während der Maidan-Proteste tatsächlich in Kiew waren.

Später berichteten allerdings Maidan-Kämpfer, die das Massaker an der Institutskaja-Strasse überlebten, dass Kugeln nicht von vorne kamen, wo die Polizei stand, sondern von hinten aus dem Hotel Ukraina. Es sei aus dem linken Flügel der ersten und siebten Etage geschossen worden, berichteten Augenzeugen. Man kann sie in einem Video-Film anhören, in dem der kanadische Professor Ivan Katschanowski 60 Aussagen von Augenzeugen zusammentrug.

Im Februar 2022 veröffentlichte die Wiener Zeitung ihre Recherchen über den «wackeligen Heldenmythos der Ukraine»: 

«Schnell, zu schnell präsentierte eine Kommission unter der Leitung eines Staatsanwalts der nationalistischen Swoboda-Partei 2014 Untersuchungsergebnisse, die alle Schuld an dem Massaker der Berkut-Einheit [des abgesetzten Präsidenten Januikowitsch] zuschanzten […] An dieser Darstellung kamen jedoch rasch Zweifel auf. Schliesslich hatten auch etliche Polizisten ihr Leben verloren. 
Der damalige Oppositionspolitiker Andrij Schewtschenko, der selbst auf dem Maidan war, erklärte der britischen BBC in einem TV-Bericht ein Jahr nach dem Massaker, er habe am Morgen des 20. Februar einen Anruf von einem befreundeten Polizeikommandanten bekommen. Dieser berichtete von Schüssen auf seine Leute vom Gebäude des Konservatoriums aus und bat den prowestlichen Maidan-Politiker Schewtschenko, etwas dagegen zu unternehmen. Das Konservatorium befand sich an jenem Tag unter Kontrolle von Einheiten des Maidans, deren Einsatz die rechtsextremen Politiker Andrij Parubij und Dmytro Jarosch, der Chef der Einheit ‹Rechter Sektor›, kontrollierten. 
Bald tauchte ausserdem auch ein Audiomitschnitt von Berkut-Polizisten auf. Auf ihm war eine erregte Unterhaltung von Polizisten zu hören, von denen einer berichtete, man werde aus unbekannter Richtung beschossen. Die BBC konnte einen Schützen ausfindig machen. Der Mann, der seine Aussage anonym tätigte, gab an, dass man ihn bereits im Jänner als potenziellen Scharfschützen rekrutierte.

Ein ukrainischer Mitarbeiter einer westlichen Stiftung in Kiew, der die Ereignisse auf dem Maidan verfolgte, erklärte: ‹Es gab schon viele Staatsanwälte, welche die Schüsse untersuchten. Mehrere Teams haben sich da abgewechselt.› Er hege den Verdacht, dass die Untersuchungen auf die lange Bank geschoben wurden. «Das Interesse, das Massaker endlich lückenlos aufzuklären, hält sich in engen Grenzen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Max Jones

arbeitet als Autor und Videoproduzent für ScheerPost. Seit er 2023 sein Studium der Kommunikationswissenschaften und des Drehbuchschreibens an der University of Southern California abschloss, arbeitet er als unabhängiger Filmemacher und Drehbuchautor sowie als Journalist bei ScheerPost. Seine Schwerpunkt-Themen sind Meinungsfreiheit, Informationspolitik und Aussenpolitik.

 

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