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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Schweizer Vorschlag für Frieden in der Ukraine

Spitzendiplomat Thomas Greminger skizziert einen Plan B für Friedensverhandlungen und ein Ende des Ukraine-Kriegs.

2. März 2024

von Markus Mugglin

Was der Schweizer Spitzendiplomat mit «Perspectives for the war in Ukraine» diskret überschreibt, ist mehr als nur eine weitere Publikation zum Krieg, der ganz Europa und darüber hinaus die Welt bewegt. Der Inhalt ist brisant, weil Greminger ausspricht, was viele in Europa nicht auszusprechen wagen: «In Anbetracht des extrem hohen Blutzolls, den der Krieg für die bewaffneten Kräfte, die Wirtschaft und die Gesellschaft auf beiden Seiten fordert, ist eine Einstellung der Feindseligkeiten oder sogar eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit dem Ziel, einen Waffenstillstand zu erreichen, in absehbarer Zeit wahrscheinlicher geworden und sollte ohne weitere Verzögerung ernsthaft in Betracht gezogen werden.»

Der Direktor des Geneva Centre for Security Policy (GCSP) weiss natürlich, dass der Verlauf eines Krieges nie wirklich vorausgesagt werden kann. Das gilt auch für den Krieg in der Ukraine. Noch schätzt der Sicherheitsexperte fünf Szenarien als möglich ein: einen Stillstand, ein Abflauen der Kämpfe oder umgekehrt eine weitere Eskalation, der Sieg einer Kriegspartei oder – fünftens – umgekehrt das Ende des Krieges mit einer Verhandlungslösung.

Als am wahrscheinlichsten stuft Greminger einen «Stillstand» ein, obschon es weder die Ukraine noch Russland eingestehen. Beide täten noch immer so, als ob sie siegen könnten. Die Wirklichkeit sehe aber anders aus. «Beide Seiten konzentrieren sich durch den Bau von Befestigungen und das Verlegen von Minen zunehmend auf die Stärkung der Verteidigungspositionen.» Sie setzten nun auf eine defensive Kriegsführung. Trotzdem setzen weder die Ukraine noch der Westen schon auf Verhandlungen. «Es gibt einen Plan A – und nur einen Plan A – und das ist die Unterstützung für die Ukraine», bekräftigte unlängst EU-Ratspräsident Charles Michel.

Nachdenken über einen Plan B

In der Experten-Community nimmt Thomas Greminger aber vermehrt die Forderung nach einem Plan B wahr. Er verweist auf Richard Haass – einst Berater von Präsident Bush senior und später von Aussenminister Colin Powell – Charles Kupchan und Samuel Charap von der Rand Corporation in den USA. Greminger erwähnt auch den deutschen Oberst a.D. Wolfgang Richter, der im Dezember letzten Jahres eine Exit-Strategie vorgeschlagen hat mit den Zielen, sowohl die Souveränität der Ukraine als auch die Sicherheitsinteressen Russlands gegenüber der NATO zu respektieren.

Ausgangspunkt der neuen Denkweise für einen Plan B ist für Greminger die Entwicklung, «die durch ein krasses Missverhältnis zwischen den Zielen und den verfügbaren Mitteln geprägt ist». Hinzu kommt, dass es für die Ukraine schwieriger wird, die notwendige finanzielle und militärische Unterstützung zur Aufrechterhaltung ihrer Kriegsanstrengungen zu mobilisieren.

Greminger schlägt Verhandlungen parallel auf zwei Ebenen vor: «Auf der einen Ebene würden die Ukraine und Russland ein bilaterales Friedensabkommen aushandeln. Auf einer zweiten Ebene würden die westlichen Staaten einen strategischen Dialog mit Russland über Rüstungskontrolle und die europäische Sicherheitsarchitektur aufnehmen.»

Es ginge um ein breites Spektrum strittiger Themen: «territoriale Fragen, Reparationen, Rechenschaftspflicht für Kriegsverbrechen, Minderheitenrechte, Sanktionserleichterungen und Sicherheitsgarantien». Letztere wären besonders schwierig und zugleich zentral, betont Greminger.

Beidseits Sicherheitsgarantien

Die Ukraine erwarte «verständlicherweise zuverlässigere Garantien als das verletzte Budapester Memorandum von 1994 geboten hatte». Ihre bevorzugte Lösung wären Garantien auf der Grundlage von Artikel 5 des Washingtoner Vertrags. Doch solange Krieg herrsche, sei das ausgeschlossen. Es sei aber auch klar: «Die NATO-Mitgliedschaft würde für Russland nicht akzeptabel sein.»

Statt NATO-Mitgliedschaft und die damit verbundene Beistandspflicht im Falle eines Angriffs gemäss Artikel 5 kann sich Greminger alternativ Pakte zwischen westlichen Staaten und der Ukraine vorstellen, wie sie die G7-Staaten im letzten August angeboten und Grossbritannien, Deutschland und Frankreich jüngst angekündigt haben. Diese Pakte könnten «auch eine Bestimmung enthalten, die mit Artikel 4 des NATO-Vertrags vergleichbar ist, in dem Konsultationen gefordert werden, wenn eine Partei ihre territoriale Unversehrtheit, ihre politische Unabhängigkeit oder ihre Sicherheit als bedroht ansieht».

Würden solche Pakte mit der Absage an eine NATO-Mitgliedschaft und mit gegenseitigen Rüstungskontrollen kombiniert, könnte – so hofft Greminger jedenfalls – auch den Sicherheitsbedenken Russlands Rechnung getragen werden.

Noch sieht es aber nicht nach baldigen Friedensverhandlungen aus. Oder etwa doch? Immerhin hat jüngst selbst der ehemalige Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, im Wochenmagazin «Der Spiegel» den Wunsch geäussert, dass die Verbündeten seines Landes «diskret in Moskau ausloten könnten, ob echte Kompromissbereitschaft besteht». Ob sich sein Wunsch insbesondere an die Schweiz richtet mit Blick auf den für dieses Frühjahr angekündigten Friedensgipfel?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Markus Mugglin

ist Journalist und Ökonom mit dem Spezialgebiet globale Wirtschaftsfragen. Er arbeitete 25 Jahre für Radio SRF/DRS, u.a. als UNO-Korrespondent, EU-Korrespondent und bis Herbst 2012 als Redaktionsleiter von „Echo der Zeit“. Darüber hinaus war er Dozent am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern. 

 

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