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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

«USA zerstörten Nord-Stream, damit Scholz keine Wahl mehr hat»

Laut US-Journalist Seymour Hersh wollten die USA verhindern, dass Deutschland im kalten Winter die Pipeline nutzt. Eine Nachlese.

26. Februar 2023

von Urs P. Gasche

Dieser Artikel legt nahe, dass die USA und Norwegen den Terrorakt in der Ostsee ausführten und nicht Russland. Damit stellt sich Infosperber nicht auf die Seite des Kriegsführers Putin, sondern versucht, im Fall Nord-Stream den Tatsachen so nahe wie möglich zu kommen. Das Schweigen der deutschen Regierung darf die Öffentlichkeit nicht akzeptieren.

27.9.22 Ursula von der Leyen
© U.v.d.L.

Am Tag nach dem Anschlag twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: «Jede vorsätzliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu den schärfstmöglichen Reaktionen führen.»

Seither herrscht Schweigen. Von «scharfen Reaktionen» ist keine Rede mehr.

Bereits vor der Sabotage floss kein Erdgas mehr durch die alte Ostsee-Pipeline Nord-Stream 1. Und die neue Pipeline Nord-Stream 2 war noch nicht in Betrieb. Seymour Hersh erklärte am 14. Februar in einem Interview mit der Berliner Zeitung1:

«Nord Stream 2 wurde von Deutschland selbst auf Eis gelegt, nicht durch Sanktionen […] Das Weisse Haus befürchtete, dass Deutschland und Westeuropa die gewünschten Waffen nicht mehr liefern würden und dass der deutsche Bundeskanzler die Pipeline wieder in Betrieb nehmen könnte – das war eine grosse Sorge in Washington.»

Die USA hatten die Sabotage der Erdgasleitungen bereits einige Zeit vorher angekündigt. Nach dem erfolgreichen Terrorakt äusserten sich die USA offiziell sehr erfreut.

Seymour Hersh: «von langer Hand geplante Sabotage-Aktion»

Die USA hätten mit Hilfe Norwegens in einer verdeckten und von langer Hand geplanten Sabotage-Aktion die beiden Leitungen am 26. September 2022 gesprengt. Sie hätten verhindern wollen, dass Deutschland bei einer Gas-Knappheit im Winter 2022/23 doch wieder günstiges russisches Gas aus Russland importiert. 

Zu diesem Schluss kam der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, der seit Jahrzehnten Machenschaften der US-Administrationen aufdeckt. Unter dem Titel «How America Took Out The Nord Stream Pipeline» beschreibt er, wie die USA die Geheimaktion von langer Hand vorbereiteten und dann zusammen mit norwegischen Spezialeinheiten durchführten. Bereits im Juni 2022 hätten US-Marinetaucher im Rahmen einer NATO-Sommerübung namens BALTOPS 22 die fernauslösbaren Sprengsätze an den Pipelines angebracht, die drei Monate später ferngesteuert drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörten.

Hersh stützt sich nach eigenen Angaben auf eine Quelle, welche über direkte Kenntnisse der Einsatzplanung verfügt. Es ist nachvollziehbar, dass die Auskunftsperson geheim bleiben möchte. Denn wer in den USA Staatsgeheimnisse verrät, riskiert das Schicksal eines Edward Snowden oder eines Julian Assange. 
(Der vollständige Bericht von Hersh ist am Schluss verlinkt)

«Behauptung ist komplett falsch»

Nach Veröffentlichung von Hershs Recherchen dementierte Adrienne Watson, eine Sprecherin des Weissen Hauses, umgehend: «Das ist falsch und frei erfunden.» CIA-Sprecherin Tammy Thorp doppelte nach: «Diese Behauptung ist komplett falsch.»

In der Schweiz übernahmen grosse Medien wie die NZZ oder die Tamedia-Zeitungen die Dementis der USA und informierten nur spärlich über die Vorbereitungen und den Ablauf der Sprengungen, wie sie Hersh recherchierte und darstellt. 

Medien, die von Hersh die Offenlegung der Quelle und Dokumente verlangen, verdächtigten handkehrum Russland als Urheber, ohne selbst dazu auch nur Indizien zu haben. 

Einige britischen Zeitungen verbreiteten bereits am 27. September, einen Tag nach dem Terrorakt, es sei ein russischer Angriff gewesen. Auch deutsche Medien vertraten diese These. 

Am gleichen Tag titelte die NZZ auf der Frontseite: «Dänische Regierung geht bei Ostseepipelines von Sabotage aus Russland aus.» Die Zeitung fragte weder nach der Quelle noch nach Beweis-Dokumenten.

Der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Bundestag, Roderich Kiesewetter, erklärte gegenüber dem Handelsblatt, es handle sich um einen gezielten Sabotageakt, der «durchaus in die von Staatsterrorismus geprägte und hybride Vorgehensweise Russlands passen würde». 

Am 1. Oktober schrieb Stephan Israel, Redaktor des Tages-Anzeigers, in einem Leitartikel für die Tamedia-Zeitungen, Wladimir Putin sei der «Hauptverdächtige». Eine Quelle oder einen Beleg nannte Israel nicht. Es gehöre zur russischen Desinformationspolitik, dies abzustreiten. Der Leitartikel hob als Schlagzeile heraus: «Der Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines ist auch eine indirekte Kriegserklärung an den Westen.» 

Am 2. Oktober schrieb Auslandredaktor Markus Bernath in der NZZ am Sonntag:

«Der offenkundige Sprengstoffanschlag auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee könnte von einer Spezialeinheit des russischen Militärs ausgeführt worden sein […] Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines – schreibt man ihn den Russen zu – hat noch eine andere, gefährlichere Botschaft: Moskau droht dem Westen damit indirekt weitere Sabotageakte gegen essenzielle Be­reiche der Infrastruktur an. Datenleitungen oder andere Pipelines am Meeresboden, ­Bohrinseln im Meer, Cyberangriffe auf Windenergieanlagen. Vieles ist vorstellbar, vieles sehr verwundbar.»

Ebenfalls am 2. Oktober berief sich die Sonntags-Zeitung auf den ehemaligen Chef des deutschen Nachrichtendienstes BND sowie auf die Denkfabrik Rand Corporation, um die These zu unterstützen, dass wahrscheinlich Russland die Anschläge verübte. Die Rand Corporation arbeitet in den USA für das Militär.

Bereits am 28. September zitierten die Tamedia-Zeitungen wie Tages-Anzeiger, Der Bund usw. einen nicht genannten «norwegische Militärexperten» und titelten auf den Frontseiten in der halben Schweiz:

«Der Westen wirft Russland Sabotage vor.»
Weiter im Artikel: «Der Westen hat Russland für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gemacht. ‹Lecks an drei Orten, die so weit voneinander entfernt liegen, können nur die Folge von Sabotage sein›, erklärte ein norwegischer Militärexperte.»

Am 5. Oktober stützte sich die NZZ offensichtlich auf den gleichen «norwegischen Militärexperten» und schrieb: «Der Westen hat Russland für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gemacht.»

Und der Tages-Anzeiger, ebenfalls am 5. Oktober:

221005 TA Es war Russland
Tages-Anzeiger vom 5. Oktober 2022 © tamedia

Fast alle Indizien sprechen für einen Terrorakt der USA

Eigentlich läuteten von Beginn weg alle Alarmglocken und wiesen darauf hin, dass nicht Russland, sondern die USA oder nordische NATO-Verbündete die Sprengungen durchführten. Folgende starke Indizien und Argumente zeigten in diese Richtung.

1. Präsident Joe Biden hat eine Sabotage angekündigt

Am 7. Februar 2022, knapp drei Wochen vor der russischen Invasion in der Ukraine, traf Biden in seinem Büro im Weissen Haus mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen. Bei der anschliessenden Pressekonferenz sagte Biden wörtlich

«Wenn Russland einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben, wir werden dem Projekt ein Ende setzen.» Und als eine Reporterin fragte, wie genau er das zu tun gedenke, da das Projekt vor allem unter deutscher Kontrolle stehe, sagte Biden nur: «Ich verspreche, dass wir in der Lage sein werden, es zu tun.»

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CNBC berichtete am 7. Februar darüber unter dem Titel «Biden says Nord Stream 2 won’t go forward if Russia invades Ukraine, but German Chancellor demurs» («Biden sagt, Nord Stream 2 werde nicht gebaut, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, aber der deutsche Bundeskanzler widerspricht»).

Unabhängig vom russischen Einmarsch in die Ukraine hatten sich die USA wiederholt und deutlich gegen den Bau von Nord-Stream 2 ausgesprochen. Drei Wochen vor Bidens Pressekonferenz verkündete Staatssekretärin Victoria Nuland bei einem Briefing des Aussenministeriums im Wesentlichen dieselbe Botschaft: 

«Ich möchte Ihnen heute ganz klar sagen: Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.»

Und schliesslich erklärte US-Aussenminister Antony Blinken an einer Pressekonferenz im September zu einer möglichen Energiekrise in Westeuropa:

«Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin das Erdgas als Mittel zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne zu entziehen. Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre.»

2. Motive und Nutzen

Wie in jedem Kriminalfall gilt es zu fragen, wem die Zerstörung der Pipelines nützt und welche Motive hinter dem Anschlag stehen könnten.

Russland hätte sich durch die Beschädigung der eigenen Infrastruktur selbst der Möglichkeit beraubt, die Gasversorgung als Druckmittel zu verwenden. Zudem verliert Moskau mittelfristig die Möglichkeit, die Pipelines in Betrieb zu nehmen, um Einnahmen aus dem Gasexport in Milliardenhöhe zu generieren.

Klar den grössten wirtschaftlichen und geopolitischen Nutzen von der Zerstörung der Pipelines haben die USA. Denn die Energiepartnerschaft zwischen Russland und Deutschland wird entscheidend geschwächt. Bereits seit 2017 wollten die USA die Nord Stream-Pipelines verhindern und eigenes Fracking-Gas nach Europa exportieren. Mit einem Sanktionsgesetz verpflichtete der US-Kongress die US-Regierung sogar, den Bau einer zweiten deutsch-russischen Gasleitung in der Nordsee zu verhindern, um ihr teureres US-Fracking-Gas nach Europa exportieren zu können. Unternehmen und Banken, welche die Gasleitung Nord-Stream 2 unterstützen, konnten seither mit Sanktionen belegt werden. Im Gesetz, das der US-Kongress im Jahr 2017 verabschiedete und das Sanktionen gegen Investoren von Nord-Stream 2 vorsieht, heisst es wörtlich: «Die US-Regierung legt grössten Wert auf den Export amerikanischer Energieträger und auf die Schaffung amerikanischer Jobs.»

Es ist im Interesse der US-Wirtschaft, Konkurrenten auf dem Weltmarkt keine billige Energie zu überlassen, wenn das einheimische Fracking-Gas viel teurer ist. Falls die deutsche Wirtschaft von dem viel teureren Flüssiggas abhängig wird, werden deutsche Erzeugnisse weniger konkurrenzfähig. Und Milliarden Euro, die zuvor für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem grossen Teil in die USA.

3. Eine «False-Flag-Operation» 

Weil Russland an einer Zerstörung der Pipelines offensichtlich kein Interesse haben konnte, verbreiteten westliche Think-Tanks, Russland habe mit dem Sabotage-Akt eine «False-Flag-Operation» beabsichtigt. Damit ist ein in den 50er-Jahren von der CIA entwickeltes Täuschungsmanöver des Militärs oder des Geheimdienstes gemeint, den Gegner (hier die USA oder die NATO) fälschlicherweise als Urheber darzustellen, um dies als Vorwand für eigene Militärschläge zu nutzen. 

Russland habe also den Sabotage-Akt ausgeführt, um ihn der NATO in die Schuhe zu schieben und ihn als Anlass für Vergeltungsmassnahmen zu nutzen. Russlands Militär war jedoch längst in der Ukraine und brauchte keinen «Vorwand», um weiter vorzustossen, um einen Luftkrieg anzufangen oder eine taktische Atomwaffe zu zünden, was Russland bisher nicht tat.

Bereits unmittelbar nach der Sprengung der Pipelines erklärte die polnische Regierung als erste, es handle sich möglicherweise um eine russische Provokation. Es folgte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf Twitter: «Das grossflächige ‹Gasleck› an Nord Stream 1 ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terroranschlag und ein Akt der Aggression gegenüber der EU.»

Am 28. September zitierte der Tagesspiegel Podoljak: Er halte eine «False Flag»-Aktion Russlands für «denkbar». 

Am 1. Oktober zitierte die NZZ am Sonntag eine neue Quelle, um die Vermutungen auf Russland zu richten:

«Für Sascha Dov Bachmann, einen Theore­tiker des hybriden Krieges, ist klar, dass dies eine Operation ‹unter falscher Flagge› war, eine Tat ganz in der Tradition militärischen Denkens der Sowjetunion und Stalins, um die Öffentlichkeit im Westen wie im eigenen Land in die Irre zu führen…»

4. Weitere Indizien in Richtung USA als Akteur

  • Zum Zeitpunkt der Sabotage befanden sich viele US-Kriegsschiffe in der Ostsee und östlich von Bornholm, wo ein grosser US-Kampfverband im Rahmen der NATO operierte. Er könnte dafür gesorgt haben, dass die Sabotage ausgelöst wurde und die Urheber verdeckt blieben.
  • Anstatt sofort Ermittlungen zu beginnen, teilte die deutsche Bundesregierung am 11. Oktober 2022 mit, die Untersuchungen der Vorfälle vor Ort würden «gerade erst beginnen». Diese Verzögerung ist erklärungsbedürftig, denn es handelt sich um einen Terrorakt. Und es geht auch um Haftungsansprüche. 
  • Russische Experten wurden daran gehindert, bei den Untersuchungen vor Ort dabei zu sein.
  • Norwegen und Schweden weigern sich bis heute, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen bekannt zu geben. Die deutsche Bundesregierung weigert sich ihrerseits zu sagen, welche Schiffe der NATO und Russlands sich in der Nähe des Tatorts aufhielten.
  • Politiker und Medien setzen sich mit den Recherchen von Seymour Hersh nicht auseinander, sondern zielen auf die Person (was nach gängiger PR-Regel bedeutet, dass man sich mit Argumenten und Fakten nicht auseinandersetzen will): Es handle sich um einen 85-jähriger Mann, der die Täterschaft Assads für ein Giftgasattentat verneint habe. Hersh stütze sich bei seiner Nord-Stream-Recherche auf eine einzige Quelle, würde seinen Informanten nicht nennen und keine Dokumente als Beweis vorlegen, lauten die Gründe für die Skepsis. In ihren Online-Ausgaben verlinkten viele Medien nicht einmal auf der Bericht von Hersh.
    «Ein Starjournalist auf Abwegen» titelte die NZZ. Hersh vermische «Phantasie mit Fakten». Und als schlagenden Beweis für die Unseriosität von Hersh meinte Korrespondentin Katja Müller, die These von Hersh werde «vor allem von regierungsnahen russischen Medien verbreitet». In den USA würde diese These kaum aufgenommen.
    Die Tamedia-Zeitungen wie beispielsweise Tages-Anzeiger, Der Bund oder Zürcher Oberländer übernahmen einen Kommentar von Stefan Kornelius, Redaktor der «Süddeutschen Zeitung»: Hersh verbreite eine «spektakuläre, aber unplausible These» und betreibe «ein Geschäft mit der Konspiration». Auf die konkrete Darstellung von Hersh ging Kornelius nicht ein.
    Kornelius ist Mitglied der «Atlantik-Brücke», die unter anderem eine militärpolitische Brücke zwischen den USA und Deutschland schlagen will, und sass einige Jahre – wie heute die in den Medien präsenten Professor Carlo Masala und Marie-Agnes Strack-Zimmermann – im Beirat der «Bundesakademie für Sicherheitspolitik», die organisatorisch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehört und laut Statuten die Bundesregierung berät, also die selbe Bundesregierung, deren Politik die Medien kritisch hinterfragen sollten (siehe Infosperber: Redaktoren im Dienste von Nato-Organisationen).
    Es fällt auf, dass die «Süddeutsche Zeitung» Hersh noch im Januar 2019 als den «wichtigsten US-Investigativjournalisten» lobte. Nun verbreitet sie, Hersh «drohe die Spur zu verlieren» und verbreite «Konspiration». 
    Noch am 3. Mai 2022 leitete der «Bayrische Rundfunk» eine Sendung über Hersh mit den Worten ein: «Reporterlegende Seymour Hersh – Stachel im Fleisch der Mächtigen. Er bringt ans Tageslicht, was die Mächtigen verbergen: Kriegsverbrechen, Korruption, Umweltfrevel. Die Enthüllungen der Reporterlegende zeigen der Weltöffentlichkeit das hässliche Gesicht der USA.»   

5. Offizielle Reaktionen

Medien, welche als Hauptverdächtigen für die Sabotage vorschnell Russland ausmachten, sollte etwas später wenigstens stutzig machen, dass westliche Exponenten die Zerstörung der Pipelines begrüssten.

Sogar schon wenige Tage nach der Sprengung der Pipelines erklärte US-Aussenminister Antony Blinken an einer Pressekonferenz, Putin sei jetzt ein wichtiges Machtmittel genommen worden. Die Zerstörung der Pipelines sei eine ungeheure Chance – eine Chance, Russland die Möglichkeit zu nehmen, die Pipelines als Waffe einzusetzen. 

Am 30. September, nur vier Tage nach dem Pipeline-Anschlag, twitterte der ukrainische Finanzmarktspezialist Bohdan Kucheriavyi2 erfreut: «Die Sabotage der Nord-Stream verschafft neue Möglichkeiten.»

Tweet von Bohdan Kucheriavyi vom 30.9.2022 © Exxon Mobil

26. Januar 2023 zeigte sich auch Victoria Nuland erfreut, bekannt durch ihren Ausspruch «Fuck the EU». Während einer Anhörung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats sagte sie zu Senator Ted Cruz: «Wie Sie bin auch ich, und ich glaube auch die Regierung, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund ist.»

Am 27. Januar 2022 bedankte sich der frühere polnische Verteidigungs- und Aussenminister Radoslaw Sikorski in einem Tweet bei den USA: «Thank you, USA.»

Peinlicher Faktencheck der ARD

ARD Faktencheck
Der später korrigierte «Faktencheck» der ARD © ARD
ARD Faktenchek Hersh
«Sprengstoff in Pflanzenform unwahrscheinlich»: Wohl wahr, aber das hat Seymour Hersh nicht behauptet. © ard

Unter dem Titel «Sprengstoff in Pflanzenform unwahrscheinlich» dementierten die Faktenchecker der ARD Seymours Hershs Beschreibung des Attentats. Hersh habe behauptet, die Taucher hätten den plastischen Sprengstoff C4 «in Form von Pflanzen auf den vier Pipelines mit Betonschutzhüllen» platziert. Laut Experten sei «die These, der Sprengstoff sei in Pflanzenform angebracht worden, ‹abenteuerlich›», verbreiteten die Faktenchecker.

Später mussten die ARD-Faktenchecker zurückkrebsen: In Hersh Originaltext heisst es: «…plant shaped C4 charges». Die Faktenchecker übersetzten dies mit «Sprengstoff C4 in Form von Pflanzen». Nur: «Plant» bedeutet in diesem Fall «platzieren» und nicht «Pflanze».  

Olaf Scholz: «Man kann es nur vermuten»

Olaf Scholz im Bürgerdialog.Jan. 23
© phoenix

Während eines TV-Bürgerdialogs Anfang Februar nahm der deutsche Bundeskanzler das Wort «USA» nicht in den Mund:

«Wer die Pipeline gesprengt hat, kann man vermuten, aber weil wir ein Rechtsstaat sind, vermuten wir nicht, sondern sagen nur dann etwas ganz Präzises, wenn wir das beweisen können. Auch wenn hier fast alle denken, wie das ist, darf man sich nicht in Spekulationen ergehen.»

Hinter dieser Maxime versteckt sich Scholz wohl deshalb, weil es um Vorwürfe an die Adresse der USA geht. Bei Vorwürfen gegen Russland oder China, geschweige denn gegen die Oppositionsparteien gilt dieser hehre Grundsatz der endgültigen Beweisbarkeit, um eine fast sichere Vermutung auszusprechen, offensichtlich nicht.

1 Das Zitat wurde am 27.2.2023 ergänzt
2 Hier wurde der Tweet anfänglich irrtümlicherweise Exxon Mobil zugeordnet

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NACHTRAG vom 28.2.2023
Im obigen Artikel kritisierte ich die zitierten Zeitungen, weil diese Seymour Hersh als unglaubwürdig darstellten, ohne dass sie überhaupt darüber informierten, was denn Hersh herausgefunden zu haben glaubt. Unterdessen melden einige Medien Zweifel, ob Details des von Hersh beschriebenen Ablaufs des terroristischen Anschlags zutreffen. Es kann sein, dass Hersh den genauen Ablauf absichtlich mit Fehlern darstellte, damit seine Quelle schwieriger identifiziert werden kann. Es kann auch sein, dass Hersh über den Ablauf falsch informiert ist. Bei ihren Zweifeln stützten sich beispielsweise die Faktenchecker der ARD auf den Pressesprecher der norwegischen Streitkräfte und auf einen dänischem Datenanalysten.
Die taz macht es sich einfach, wenn sie aufgrund von fehlerhaften Details die Kernaussagen von Hersh als «umplausibel» disqualifiziert.
Weder die taz noch die ARD-Faktenchecker haben Hersh Gelegenheit gegeben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck stufte die Ermittlungen als «geheimdienstlich» ein. Weder die deutschen noch die dänischen noch die schwedischen oder norwegischen Ermittler geben ihre Ergebnisse bekannt. Gäbe es auch nur Hinweise dafür, dass Russland für den Terrorakt verantwortlich ist, wären entsprechende Ergebnisse wohl längst bekannt gemacht worden.
Im obigen Artikel sind eine ganze Reihe deutlicher Indizien aufgezeigt, welche nahelegen, dass die USA beim Anschlag federführend waren.

Frühere Informationen auf Infosperber:

3. Oktober 2022:
Wer steckt hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines?

23. Oktober 2022:
Bundesregierung verweigert Informationen zu Pipeline-Anschlägen

27. Oktober 2022:
Nord-Stream-Anschlag: «Staatswohl hat Vorrang vor Aufklärung»

14. Januar 2023:
Nord-Stream-Anschlag: Keinerlei Hinweise auf russische Täter


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Urs P. Gasche

ist Redakteur der Online-Zeitung Infosperber.ch. Der Infosperber konkurriert nicht mit großen Medienportalen, er ergänzt sie. Die Plattform hat sich als Ziel gesetzt, allein nach gesellschaftlicher oder politischer Relevanz zu gewichten. Der Infosperber sieht, was andere übersehen.

 

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